Dienstag, 22. April 2014

Die Pflichten des Glücks

Es fühlt sich an wie ein italienischer Trauerzug an einem sengend heissen Sommertag. Die Waagschalen kommen nicht zur Ruhe, Leid und Freud liefern sich einen stetigen Wettkampf. 
Auf dem Kirchturm sitz ein Kormoran, abseits seiner Kolonie. Der Rest der Kolonie liegt in Kohlblätter eingebettet und mit Preiselbeeren dekoriert auf schmuddligen Tellern in einer ebensolchen Küche in der einzigen Taverne. 

Die beiden Kinder spielen im Sandkasten auf dem heruntergekommenen Spielplatz neben dem kleinen Friedhof, während die Mutter sie mit leerem Blick betrachtet, den Rosenkranz betend, abwesend. Ihr rechter Mundwinkel zuckt einige Male kurz, die Augen leuchten auf. Ein warmer Windstoss küsst ihre blassen, nackten Arme, lässt die Härchen aufstehen und sie erinnert sich an ein wehendes, blaues Kleid mit weissen Punkten. Das Bild verschwindet irgendwo und an seiner Statt tauchen alte Herren in verwaschenen Anzügen auf. Ihr Mund ist wieder ganz ruhig. 

Das Kleid liegt gefaltet und ungebügelt auf einem Stapel im Schrank. Es wurde schon lange nicht mehr getragen. An einem Tag im Juli als, die Rosen in voller Blüte standen und die Luft nach Liebe duftete. Das Mädchen weint, an seinen Händen ist Blut. Motorisch streicht ihm die Mutter über das Köpfchen; Eiswasser mit Zitronensaft. 
Die Trauergemeinde ist verschwunden, der Kormoran breitet seine Flügel aus und lässt sich in die Leere fallen. Es ist still. Die Mutter streckt dem Jungen die Hand hin, während sie das Mädchen auf  ihre Hüfte hievt, es vergräbt sich an ihrer Brust, der Stoff der Bluse wird langsam nass. 

Als sie das Fenster öffnet, um der kühlen Nachtluft Eintritt zu gewähren, spiegelt sich im Glas die Schranktür in ihrem Rücken. Sie ist nur angelehnt. Langsam schiebt sie ihre Finger durch den schmalen Spalt und ertastet die kühle Seide. Der Mundwinkel zuckt erneut und die Waagschalen lassen einen grösseren Abstand zu.

Dienstag, 15. April 2014

N., 23, ist irgendetwas...

Ist dieser Text eine Aussage an alle oder schreibe ich für mich? Ein wesentlicher Unterschied. Nun gut, es ist eine Aufgabe, ihn zu verfassen, somit dürfte anzunehmen sein, dass ich nicht die einzige bleiben werde, deren Blick auf die Worte zielen wird. Uneingenommen von dieser Erkenntnis werde ich mir dieses Mal alle Mühe geben, ehrlich zu bleiben. – Mit der stillen Hoffnung, später nicht auf den Inhalt angesprochen zu werden.
Es sind tägliche Geschehnisse, die mich immer tiefer in den Sog der Traurigkeit hinunterziehen. Außerdem ist es schwierig, eine eigene Welt aufrechtzuerhalten. Die Freude ist immer nur sehr kurz zu Gast und wird jedes Mal von der Hitze der Wut versengt. Die Wut, die sich nicht entfalten kann und im salzigen Tränenmeer ihr jähes Ende findet. All die Fragen, die niemand zu meiner Befriedigung zu beantworten vermag, kreisen am Zenit meines Gedankenuniversums, schnell und durcheinander. Ich bin es leid, meine Seele auszukotzen, da ich doch immer wieder auf taube Ohren stoße. Kann oder will ich es nicht verstehen? Beide Möglichkeiten könnten der Fall sein. Dies immer wieder zu hinterfragen macht mich wahnsinnig. Sind es die anderen oder bin ich es? Eine endlose Spirale ungeklärter und unerklärter Dinge beschreibt meinen Lebensweg. Es ist längst nicht nur mehr die Suche nach des Lebens Sinn als vielmehr die Suche nach irgendetwas. Gestalt- und namenlos. Die schwierigste Suche, die es zu bewältigen gilt, ist diejenige, bei welcher man nicht weiß, was es zu finden gibt. Ich weiß nicht, was ich am anderen Ende erwarte. Es würde mich beruhigen, wenn ich annehmen dürfte, dass es die Gegenseite der Traurigkeit ist.
Eingelullt in des Schlafes Obhut kommen auch die Gedanken zur Ruhe. Sie löst für einige Stunden das Denken vom Bewusstsein und trägt mich weg. In einen Raum fernab unserer Zeit, wo jedem Gefühl seine eigene Schönheit innewohnt. Während mein Gesicht im feuchten Kissen liegt, schwimme ich im Fluss der bittersüßen Tränen davon, unendlich weit, unendlich lang. Ohne Erschöpfung zu verspüren. Am Ufer sehe ich Erinnerungen an die Freude, wie sie aus dem Boden wachsen, baum- und strauchartig, ihre Äste wie Arme, die den Weg zum Wasser suchen, nach mir greifen. Doch ich treibe davon, um mich zur Morgenstunde als Strandgut in meinem Bett vorzufinden.
Warum gelingt es dem Ticken der Uhr, mich nervös zu machen? So sollen doch die Stunden im Sand versickern und zu demselben verfallen. Und doch bleibt der Wunsch, mehr zu sehen, als mir tatsächlich vor Augen liegt.

Die Einfachheit, einen Tag zu bestreiten, wird unter all diesen Umständen – sind es denn wirklich Umstände, als nicht vielmehr die Realität? – oftmals auf die Probe gestellt. Erwachen scheint nicht immer ein Geschenk zu sein, und dennoch bleibt die Hoffnung – ist es denn wirklich die Hoffnung als nicht vielmehr die Sehnsucht? – zu finden, wonach ich schon so lange suche.