Freitag, 27. Juni 2014

Interpretation der „Kleinen Fabel“ von Franz Kafka

"Ach", sagte die Maus, "die Welt wird enger mit jedem Tag. Zuerst war sie so breit, dass ich Angst hatte, ich lief weiter und war glücklich, dass ich endlich rechts und links in der Ferne Mauern sah, aber diese langen Mauern eilen so schnell aufeinander zu, dass ich schon im letzten Zimmer bin, und dort im Winkel steht die Falle, in die ich laufe." - "Du musst nur die Laufrichtung ändern", sagte die Katze und fraß sie.


Interpretation der „Kleinen Fabel“ von Franz Kafka


Mit der Kenntnis einiger Details aus Kafkas Leben, wie zum Beispiel seinem Leiden an Klaustrophobie oder seiner Unterlegenheit dem Vater gegenüber, liegt es auf der Hand, die Figuren aus der „Kleinen Fabel“ mit Personen zu assoziieren und psychologische Hintergründe aufzuzeigen, da man bei einem eher introvertierten Menschen, wie Kafka es zu gewesen sein scheint, intuitiv davon ausgehen kann, dass er in seinem Text etwas zu verarbeiten versucht.
Kafka ist die Maus, welche entweder vom Vater in eine Richtung gedrängt wird oder sich, um der Klaustrophobie zu entkommen, imaginäre Mauern zu beiden Seiten aufbaut.
Wie auch immer man es dreht, endet der Weg vor seinem Vater, der Katze, der zeitlebens dominierend war und ihn bevormunden will. Bei diesem Ansatz gehe ich davon aus, dass Kafka in der „Kleinen Fabel“ die Falle im Winkel und die Katze als Synonym behandelt. Somit wirkt die ganze Aussage der Fabel selbstironisch, da sich der Autor als die schwächere Partei ausgibt und gar nicht erst auf den Gedanken kommen würde, einen Ausweg aus seinem misslichen Dasein zu finden.
Gesamthaft betrachtet, ohne auf Kafka einzugehen, kann man im Text ein häufig vorkommendes Verhaltensmuster des Menschen herauslesen.
Wiederum werden der Maus wie auch der Katze Objekte zugeordnet, wobei in diesem Fall die Maus für den Menschen, die Gesellschaft steht und die Katze die Funktion des Endpunkts, der Falle einnimmt.
Zu Beginn stehen uns alle Möglichkeiten offen, doch fühlen wir uns erst wohl, wenn wir uns in einer sicheren Umgebung befinden. Damit sind zum Beispiel eine feste Arbeitsstelle, eine glückliche Ehe oder auch ein Haus, ein gewisser Wohlstand gemeint.
Ungefragt, ob uns dieser Zustand auch wirklich befriedigt, gewöhnen wir uns an diesen Alltag, an die Routine, um plötzlich – wobei dieser Moment sehr rasch eintreffen wird, da die fiktiven Mauern schnell aufeinander zu eilen – vor dem Abgrund aufzuwachen und festzustellen, dass es zu spät ist, um große Veränderungen vorzunehmen.
Bei beiden Analysen bleibt die Frage nach dem letzten Zimmer offen. Wie die Bezeichnung schon anzudeuten weiß, handelt es sich dabei um eine Endstation. Ungeklärt bleibt jedoch, für wen oder was genau dieses Zimmer das Aus bedeutet. Nahe liegend wäre es, ihm das Lebensende gleichzusetzen. Strickt man den Gedanken jedoch weiter, so lassen sich mit dem Zimmer auch das Ende der Sicherheit im Alltag, in der Ehe, des Arbeitsplatzes verbinden.
Grundsätzlich sehe ich in diesem letzten Zimmer das Ende oder aber auch das Ziel, in jedem Fall wirkt es aufdeckend und symbolisiert den Spiegel der Realität. Denn erst, wenn wir merken, dass die Zeit nur noch wenig ist, oder uns etwas abrupt genommen wird, scheint uns klar zu werden, was wir eigentlich gewollt hätten.
Ich schenke keiner meiner beiden Betrachtungen mehr Glauben an Richtigkeit, denn für mich stimmen sowohl die psychologischen Bezüge zu Kafkas Leben wie auch die Idee, mit dem Text die Gesellschaft auf ihre mutlose und festgefahrene Lebensweise aufmerksam zu machen.

Demnach würde ich es nicht bestreiten, dass sich Kafka dieser Doppeldeutigkeit bewusst war und somit sein eigenes Problem in ein allgemeines Erscheinen verpackte.

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